Clara:
Nadine, in den letzten Jahren hat man sehr viel über „coaching“ und „Coaches“ in Bezug auf Persönlichkeits- oder Karriereentwicklung gehört. Du selbst hast einen vielschichtigen Karriereweg. Wie bist Du zum Coaching-Beruf gekommen?
Nadine:
Ich glaube jeder Karriereweg, der sich neu entfaltet, startet immer aus einem ganz persönlichen Grund. Da geht es um Fragen wie: wer bin ich eigentlich? Was will ich im Leben? Bin ich mit dem was ich mache zufrieden und erfüllt mich das mit Sinn? Und es gibt einfach Punkte, an denen man selbst mit dem Leben konfrontiert wird.
Ich habe 2013 eine gute Freundin verloren, und das hat ganz viel in mir bewegt und berührt und war im Endeffekt der Start für meine berufliche Veränderung.
Das war für mich der Auslöser, mich zu fragen: Was will ich denn eigentlich wirklich im Leben? Wir haben nur das eine Leben, und das wollen wir mit Sinn füllen. Und ich habe damals für mich einfach festgestellt, cool, ich hab richtig viel im Fernsehbereich gemacht und es hat mir total viel Spaß gemacht, aber ich hatte das Gefühl, ich will mehr! Dann habe ich meine erste Coaching-Ausbildung gemacht. Und als ich zum allerersten Mal einen Menschen gecoacht und gemerkt habe, wow, ich kann einer anderen Person helfen, durch einen Veränderungsprozess zu gehen, Dinge für sich zu verstehen, zu verändern und dann auch umzusetzen, da habe ich in mir drin wieder so ein Feuer bemerkt, das ich davor lange nicht mehr gespürt habe.
Und das ist jetzt fast 10 Jahre her. Ich mache jetzt einfach schon 10 Jahre das, was meine Leidenschaft ist.
Clara:
SLICE ist ja unter anderem eine Plattform für Kunst-, Kultur- und generell Geisteswissenschaftler*innen. Du selbst hast auch Kunstgeschichte und Romanistik studiert: Wie hilft dir dein vorangegangenes Studium für den Beruf als Coachin heute?
Nadine:
Fachlich gesehen hat mir das vielleicht nicht so viel gebracht. Aber ich bin davon überzeugt, dass ein geisteswissenschaftliches Studium dazu da ist zu lernen, wie man Wissen strukturiert und wie man in Netzwerken denken kann. Und das ist es, was uns Menschen ja auch von Chat GPT und so weiter unterscheidet, denn reine Informationsabrufung, das kann mittlerweile die KI, aber Wissen miteinander zu vernetzen, neu zu denken, kreativ zu sein und zu neuen Ansätzen und Lösungen zu kommen, das ist die menschliche Leistung und das ist etwas besonderes.
Ich glaube, ich konnte das schon immer, sonst hätte ich das Studium nicht gewählt. Aber ich finde es wichtig, dass gerade in geisteswissenschaftlichen Fächern dieses Denken gefördert wird. Durch die Hausarbeiten, die man schreibt, Wissen neu zu denken, neue Ansätze zu finden und zu strukturieren. Das ist eine Kompetenz, die vor allem heutzutage mit KI etc. immer mehr gefragt wird.
„Wir dürfen alles immer wieder verändern, uns immer wieder neu erfinden.“
Clara:
Absolvent*innen aus geisteswissenschaftlichen bzw. kunst- und kulturwissenschaftlichen Studiengängen steht ja ein sehr breiterer Karriereweg offen. Wie kann man auf Grundlage so eines Studiums für sich persönlich feststellen, welcher Karriereweg der Richtige ist?
Nadine:
Also erstens ganz wichtig: Der Karriereweg darf sich ändern! Es ist wichtig, aus dieser ganzen Sache mal richtig Druck rauszunehmen und zu denken, das, was ich jetzt gerade mache oder für was ich mich jetzt entscheide, muss nicht das sein, für was ich mich in 5 Jahren auch wieder entscheide. Wir dürfen alles immer wieder verändern, uns immer wieder neu erfinden.
Das zweite ist, dass ich für mich Entscheidungen treffe: Welche Werte hab ich denn eigentlich? Und sind diese Werte, die ich für mich persönlich habe, Hand in Hand und im Einklang mit diesem Job, den ich da habe? Ich hab zum Beispiel einen sehr hohen Freiheitswert. Einen Job, wo ich um 08:00 Uhr starten müsste und dann bis 17:00 Uhr jeden Tag im gleichen Büro sitzen würde, wäre für mich persönlich nichts. Das heißt nicht, dass das für eine andere Person nicht passend ist. Denn für einen Menschen, der vielleicht einen sehr hohen Sicherheitswert hat, ist das genau das Richtige, wenn Sachen in der Abfolge immer gleich und ähnlich sind.
Das heißt, es fängt an mit der Fragestellung: Wer bin ich eigentlich, was sind meine Werte, was möchte ich denn gerne erfüllt wissen? Und danach auszusuchen, welchen Job ich denn machen kann, der genau diese Werte, die ich habe, meine Kernwerte erfüllt.
Clara:
Wie finde ich denn für mich selbst heraus, was meine Fähigkeiten, Talente und Kompetenzen sind und was meine Kernwerte erfüllt?
Nadine:
Ich glaube, dass wir in allem, was uns Spaß macht, auch ein bisschen gut sind oder zumindest ein Talent haben. Deshalb sollte man bei allem, was man tut, auch wirklich mal ein Check-in mit sich selbst machen. Nicht denken, was man will oder wer man ist, sondern es zu fühlen. Was macht mir eigentlich Spaß? Und dann die eigenen Emotionen als Wegweiser dahin zu nehmen. Alles was Spaß macht ist erstmal irgendwie richtig. Spaß ist also der erste Wegweiser. Der zweite Wegweiser sind die eigenen Werte. Dafür muss man sich natürlich mit sich auseinandersetzen und wenn man jetzt so gar keine Ahnung hat, wer man eigentlich ist, wo fängt man dann an? Man kann erstmal im Umfeld fragen, also die Familie, ehemalige Arbeitskollegen, Freunde: Was glaubst du denn eigentlich, was ich gut kann?
Und sich dann auch mal eine Liste zu machen mit Dingen, die einem selber Spaß machen. Vielleicht gibt es da schon Schnittmengen zwischen dem, was eine andere Person sagt, was wir gut können und dem, was uns Spaß macht. Und da sind wir dann schon mal bei einem ganz guten Ansatz für uns selbst.
Dann kommt noch die Werte-Ebene dazu. Und wenn man selber nicht so richtig weiß, was sind eigentlich meine Werte, dann ist das zum Beispiel etwas, was man richtig gut in einem Coaching rausfinden kann.
Clara:
Kann es denn irgendwann zu spät sein, noch mal einen neuen Karriereweg zu beginnen?
Nadine:
Ich glaube, es ist niemals zu spät für Veränderungen. Aber es beginnt immer mit der Reflexion: Ist das, was ich gerade in meinem Leben habe und tue wirklich das, was ich will? Das ist gar nicht nur auf den Beruf gemünzt, sondern betrifft einfach alle Bereiche. Ist die Beziehung die, die ich will? Tue ich hier in diesem einen Leben, was ich habe und was kurz ist, genau das, was ich will? Und wenn du das für dich verneinst, dann weißt du, hey, du kannst hier etwas tun und verändern. Aber in einer Situation drin zu bleiben, die nicht dazu führt, dass wir zufrieden oder glücklich damit sind, ist fatal. Denn dann leben wir nicht das Leben, was wir leben könnten und auch nicht das, was wir wollen. Jeder hat das Recht darauf, mit dem, was man tut, mit den Menschen, mit denen man sich umgibt und dem Ort an dem man ist, einfach glücklich zu sein.
Das ist auch eine der größten Fragen, die ich in meinen Coachings erlebe: Traue ich mir das eigentlich selber zu? Und dazu gehört definitiv immer auch Mut und ein gesunder Selbstwert.
Clara:
Was sind denn die überwiegenden Fragen, mit denen Menschen zu dir kommen?
Nadine:
Menschen kommen aus ganz unterschiedlichen Gründen zu mir. Das kann sein: Ich will herausfinden, was ich will. Ich möchte besser wirken. Ich möchte endlich mal eine funktionierende Beziehung haben. Also wirklich ganz unterschiedliche Themen. Aber egal, weswegen sie zu mir kommen, kann ich es fast immer auf das Thema Selbstwert runterbrechen. Der Grund, warum wir bestimmte Schritte im Leben nicht gehen, hat immer damit zu tun, dass wir denken, wir sind vielleicht nicht gut genug. Und das wiederum geht meistens auf Lernerfahrungen in unserer Kindheit zurück und Situationen, in denen wir vermittelt bekommen haben, wir wären nicht gut genug.